Als 13 Menschen kurz vor Kriegsende sterben mussten +++ aktualisiert
Albert Schneider erinnert sich an den des Bombenangriffs auf Schramberg am 21. März 1945 / Rolf Munzinger: "Krieg, nein Danke"
Am 21. März 1945 wurde die Stadt Schramberg völlig unerwartet von einem französischen Luftangriff getroffen – heute vor 80 Jahren. 13 Menschen, Männer, Frauen und Kinder, verloren dabei kurz vor Kriegsende schicksalhaft ihr Leben. Das Stadtarchiv hat dazu die Erinnerungen des 90 Jahre alten Albert Schneider festgehalten, einem der heute letzten Zeitzeugen.

Schramberg. Albert Schneider wohnt noch heute in der Tiersteinstraße 85 in dem Haus, in dem er mit seiner Familie bereits vor 80 Jahren lebte. Bei einem Gespräch über seine Erinnerungen empfing er die Besucher auf dem Balkon, von dem aus sich das von dem Luftangriff betroffene Wohngebiet in der Nordstadt überblicken lässt.
Auch in seinem hohen Alter hat der rüstige Schramberger noch alles klar in Erinnerung und kann darüber erzählen, als ob es „gestern“ gewesen wäre. Der 21. März 1945 hat sich unauslöschlich in sein Gedächtnis eingegraben. Damals entschieden Sekunden über Leben und Tod – und Lebenswege wurden durch den Tod von Familienangehörigen noch kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges völlig verändert.
Als Hütebub auf dem Paradiesberg
Der damals elf Jahre alte Junge Albert Schneider war damals „Hirtenbube“ auf dem Paradiesberg, da im Sommer 1944 der Schulbetrieb wegen des ständigen Luftalarms und Lehrermangels eingestellt worden war. „An dem Tag, am 21. März, war ein wunderbarer Frühlingstag“, erinnert sich der Zeitzeuge. Viele Schramberger nutzen das gute Wetter, um ihre Gärten zu bestellen, völlig sorglos, auch bei Luftalarm: „Man hat ja keine Angst gehabt. Schramberg passiert nichts. Da sind Tausende Flieger jeden Tag darüber. Es ist uns nichts passiert.“
Albert Schneider half an diesem Tag dem Paradiesbergbauer Nagel Johannes Nagel (1885 – 1972) bei der Bestellung eines Ackers. Als sie einen Bomberverband kommen sahen, gingen sie mit dem Ochsen- und Pferdegespann am Waldrand in Deckung. Albert Schneider war aber „wunderfitzig“ und schaute nach den Flugzeugen: „Dann, wie ich draußen war, sehe ich, wie einer die Klappe aufmacht. Jesses Gott … Dann habe ich die ersten Bomben gesehen.“
Nach den Bombeneinschlägen zogen aus dem Talkessel dichte Rauchschwaden herauf. Johannes Nagel sagte daraufhin zu ihm: „Das muss in Eurer Nähe sein, wo Du daheim bist. Gang sofort heim, renn den Wald hinab und schau, was los ist.“
30 Bomben trafen die Nordstadt
In das Wohngebiet im Norden der Stadt Schramberg fielen etwa 30 bis 35 Bomben – einige Sekunden zu früh ausgelöst, da sie eigentlich dem Bahnhof galten, aber verfehlten. Als er im Tierstein ankam, war alles noch von Staub und Dreck eingehüllt. Auf der Straße sah er seine Mutter Katharina Schneider (1888 – 1965): „Dann war ich glücklich. Dann sagt sie mir: ‚Albert, das Haus nebenan ist kaputt, im Garten ist eine Bombe rein.“

Seine Mutter hatte Zuflucht im Keller ihres Hauses gesucht. Als die Bomben fielen, löste sich eine Tür und stieß auf ihren Rücken. Auf der Straße entdeckte sie aus dem Nachbarhaus Roland Hils (1937 – 2024), der im Garten gespielt hatte und von der Druckwelle in einen Bombentrichter geworfen worden war. Er war der einzige Überlebende aus dem Haus Mauthe an der Hammerwerkshalde: Seine Großeltern, seine Mutter und seine Schwester starben in den Trümmern ihres Hauses.
In dem daneben stehenden und ebenfalls völlig zerstörten Haus Schneider starben ebenfalls vier Menschen. Hermann Schneider, der in seinem Kinderbett lag, wurde in den Trümmern lebend gefunden – ein Wunder! Beim Elternhaus von Albert Schneider wurde dagegen durch eine in den Garten einschlagende Bombe „nur“ die Ecke beschädigt. Das Haus senkte sich um 30 Prozent, das Fachwerk hielt insgesamt stand.
Hilfe aus der Nachbarschaft
Bald darauf kamen die ersten Hilfskräfte in das Angriffsgebiet. Jeder, der helfen konnte, half – auch Albert Schneider, der daran beteiligt war, mit Gartenwerkzeug in den Trümmern nach Toten und Überlebenden zu suchen. „Ich war Kind“, sagt Albert Schneider heute nachdenklich, „aber es gab nichts anderes, man musste.“ Seinen toten Nachbarn Julius Mauthe (1870 – 1945) brachte er zusammen mit einem Leiterwagen zur Leichenhalle auf dem Friedhof.
Einige Tage später kamen Mitglieder der „Organisation Todt“ (OT“) nach Schramberg, erfahrene Bauhandwerker, die bei der Instandsetzung der beschädigten Häuser und der Auffüllung der Bombentrichter halfen – mit Albert Schneider als Handlanger. Auch die Beisetzung der Toten in einem Ehrengrab auf dem Friedhof hat Albert Schneider miterlebt, die wegen des Dauerluftalarms zu früher Morgenstunde stattfand. Die einfachen Holzsärge sieht er bis heute vor seinem inneren Auge.
„All diese Details wären ohne Zeitzeugen wie Albert Schneider in der Geschichte verloren gegangen“, blickt Katharina Erentraut vom Freiwilligen Sozialen Jahr Kultur bei der Großen Kreisstadt Schramberg auf das Gespräch zum 80. Jahrestag des 21. März 1945 zurück. „Mit jedem verstreichendem Jahr wird die Gefahr größer, zu vergessen. Es ist nicht selbstverständlich, dass wir heute noch aus erster Hand erfahren dürfen, was es bedeutet hat, in der NS-Zeit zu leben.“
Ein weiterer Zeitzeuge: Rolf Munzinger
„Wir haben damals im Burgweg gelebt“, erinnert sich Rolf Munzinger an diesen dramatischen Tag. Er hatte den Bericht seines Klassenkameraden Schneider hier gelesen und sich daraufhin bei der NRWZ gemeldet. Im Keller des Hauses am Burgweg habe es einen Stollen gegeben. Dort seien seine Familie bei Fliegeralarm hineingegangen.

„Ich stand damals vor dem Haus“, so Munzinger. Als die Bomben fielen, habe das ein Geräusch gemacht, wie wenn man Kartoffeln in eine Schütte kippt. Damals sei auch eine Familie aus der Pfalz im Burgweg gewesen. Die hätten ihnen erklärt: „Das sind Bomben!“ Daraufhin seien sie schnell in den Stollen geflohen.
Munzinger erinnert sich auch, wie er mit seinem Bruder unterwegs nach Schiltach war und Jagdbomber auf sie zuflogen. „Wir haben uns hingeschmissen, und ich hab‘ das Maschinengewehrfeuer gehört.“ Munzingers Fazit: „Krieg, nein Danke!“ (him)